Talk im Turm als Rettungsboot in der Nachrichten-Flut

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Welchen Einfluss die tägliche Flut schlechter Nachrichten auf unsere Psyche und damit auch auf unseren Alltag hat, stand im Mittelpunkt des diesjährigen Talk im Turm des BhW Niederösterreich. Bei der mittlerweile dritten Online-Version des Bildungstalks beleuchteten Autorin Ronja von Wurmb-Seibel und Coach Christine Hackl die Mechanismen belastender Informationen und zeigten auch konkrete Wege auf, damit umzugehen. Unter dem Titel „Wie wir die Welt sehen“ hat das BhW Niederösterreich das Thema der Resilienz gewählt, um in Zeiten der Pandemie, des Kriegs im Osten und beunruhigender wirtschaftlicher Entwicklungen eine „mentale Notfallsapotheke“ bereitzustellen, aber auch langfristige Strategien zu vermitteln. Inhaltliche Prämisse des auf Zoom übertragenen Bildungsevents im Klangturm war, Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten und Mut zur Eigenverantwortung zu machen.

Bildung hilft, die Welt besser zu verstehen

Vor den Referaten der beiden Vortragenden verwies Landesrat Ludwig Schleritzko auf die Bildung als „oft steinigen Weg, den man aber unbedingt gehen muss“. Dass Niederösterreich 2022 selbstbewusst und stolz das 100-Jahr-Jubiläum feiern kann und es der Bevölkerung relativ gut gehe, sei unter anderem der Bildung und insbesondere auch der Erwachsenenbildung zu verdanken. „Bildung hat damit zu tun, immer wieder einmal seinen Standpunkt zu wechseln, Dinge aus anderen Perspektiven zu sehen und auch sich selbst zu beobachten. Damit können wir erkennen, wo wir stehen, was wir wollen und welche Herausforderungen zu bewältigen sind.“

BhW Verein-Landesvorsitzende Bettina Rausch betonte in ihren Grußworten, dass „die Medien uns täglich mit vielfach negativen Schlagzeilen konfrontieren. Die ständige Skandalisierung, der Alarmismus und die kollektive Aufgeregtheit hinterlassen ihre Spuren. Da setzen die Bildungswerke an und tragen viel dazu bei, mit dieser Gemengelage besser umgehen zu können“. Sie würden entschleunigend wirken und einladen, zu reflektieren, um die Welt ein Stück weit besser zu verstehen. „Seit der Gründung der Bildungswerke vor 75 Jahren ist viel passiert: Bildung ist heute für alle zugänglich und hilft, die Welt im Großen zu verstehen und im Kleinen zusammenzuhalten. Wir leisten unseren Beitrag dazu, dass Zusammenhalt in der Gesellschaft möglich ist.“

Für Zeit zum Innehalten plädierte Kultur.Region.Niederösterreich-Geschäftsführer Martin Lammerhuber. „In einer Zeit, die noch schneller geworden ist, mit noch mehr Druck und volleren Terminkalendern, müssen wir uns immer wieder aktiv fragen, wie es uns geht. Und welchen Beitrag wir für ein gutes Leben liefern können, nach dem wir uns doch alle sehnen.“ Gerade die Regionalkultur könne hier als Ankerpunkt wertvolle Impulse liefern. „In der Volkskultur wurden in der Pandemie Formate entwickelt, Projekte voranzutreiben. Initiativen und Institutionen haben unbändige Freude, wieder ihre Werte herzuzeigen. Das kann man nutzen, ebenso wie die vielen Möglichkeiten des BhW Niederösterreich, sich weiterzubilden und zu fragen, wohin es im Sinne eines guten Lebens gehen soll.“

BhW Niederösterreich-Geschäftsführerin Therese Reinel stellte bei ihrer Einleitung die Frage in den Mittelpunkt, was es für die Gesellschaft und die Gemeinschaft im Moment brauche. „Unser diesjähriger Talk im Turm soll als Antwort darauf eine stärkende Sicht auf die Herausforderungen unserer Zeit geben. Toleranz, Wertschätzung, Dialog und das Bewahren und Weiterdenken von demokratischen Werten sind ein wichtiger Kitt für unser Zusammenleben. Angesichts schlechter Nachrichten, Kriegsbilder und Zukunftsperspektiven, die sich deutlich verschlechtert haben, könnte unser Wertegerüst ins Wanken geraten.“

Neue Welt-Sicht statt alter Gewohnheiten

Ronja von Wurmb-Seibel lebte als 27-Jährige fast zwei Jahre in Kabul, auf der intensiven Suche nach neuen Geschichten. Beim für sie prägenden Aufenthalt erlebte die studierte Politikwissenschaftlerin und Journalistin (unter anderem bei „Die Zeit“) Momente des Staunens und Momente zum Verzweifeln. Und eine andere Sicht auf die Welt der Nachrichten und des Erzählens. Für die gebürtige Bayerin waren schlechte Nachrichten bereits in der Kindheit omnipräsent. „Meine Oma berichtete stets, was im kleinen Städtchen passiert. Und jedes Mal waren die Neuigkeiten schrecklich. Die anderen News erschienen ihr nicht berichtenswert, nicht spannend und außergewöhnlich genug.“ Als Journalistin sei sie es gewohnt gewesen, Probleme zu suchen und zu finden. In Afghanistan hatten ihr erschütternde Schicksale und ausweglose Geschichten kurzfristig den Boden unter den Füßen weggezogen. „Dann begann ich Ausschau zu halten nach Geschichten, die Mut machten.“ Ihre zentrale Erkenntnis: Zusätzlich zu Problemen gab es immer auch noch mehr. „In jeder Situation gibt es einen Lichtblick. Manchmal müssen wir nur sehr lange und sehr genau danach suchen.“

In ihrem sympathischen Vortrag betonte sie im virtuellen Bildungsturm: „Die Welt in unseren Köpfen ist gefährlicher als die Welt da draußen.“ Statt lähmender Bad News, die Menschen nicht aufrütteln, sondern vielfach resignieren lassen, brauche es auch Mutmachendes. „Schauen wir uns die Probleme gern an, aber eben nicht ausschließlich die Probleme“, plädiert sie dafür, nicht Negatives auszusparen, sondern das Positive bewusst zu suchen und aufzuzeigen. Denn: „Wir können mit Krisen umgehen, aber nicht mit dem Gefühl der Ohnmacht.“ Gerade die Macht, Lösungen zu erkennen und aufzuzeigen, verändere nicht nur den eigenen Wahrnehmungskanal, sondern übe zusätzlich Druck auf Macht-Habende aus, und bereichere damit bereits die Welt.

Christine Hackl ist Beraterin in der Wirtschaft, Sozialberaterin und psychosoziale Beraterin und weiß, was der moderne Mensch braucht, um sich aufzurichten und sich für den Alltag zu stärken. Sie kennt die „Menschenbranche“, wie sie es selbst formuliert, seit über 20 Jahren und lieferte unter dem Motto „Stehe wie ein Berg und fließe wie ein Fluss“ wertvolle Tipps im Umgang mit dem Alltag in der modernen Welt. Die Weinviertlerin stellte Resilienz als „Fähigkeit eines Materials, nach einer Verformung von außen, in die ursprüngliche Form zurückzufinden“, dar. Für ihr mutmachendes und mitreißendes Referat hatte sie als visuelles Beispiel einen Schwamm mitgebracht. Sie gliedert Menschen in drei Gruppen: Jene, die nach dem „Druck“ in ihre ursprüngliche Form kommen; jene, die „eingedrückt“ bleiben und jene, die sogar mehr Form aufweisen und sozusagen nach der Belastung über sich hinaus wachsen und die Krise zum Anlass nehmen, Lösungen auch für andere zu suchen oder beispielsweise Friedensbewegungen starten.

Sie sieht die Resilienz auf sieben Säulen: Optimismus sei mit positivem Denken gleichzusetzen, das „mich hinschauen und mich dann meine Einstellung dazu wählen lässt“. Akzeptanz bedeutet für sie: „Was wir annehmen, können wir auch gestalten.“ Lösungsorientierung sei bereits im Kleinen wertvoll, wenn man sich beispielsweise fragt, wie Situationen leichter gemacht werden könne oder was es im Moment braucht, um mit der Situation besser umgehen zu können. Sie definiert vier Handlungsanleitungen: Verantwortung übernehmen, Selbstregulation, Beziehungen gestalten und die Zukunft gestalten. Ihre wärmste Empfehlung: „Tun Sie täglich etwas Kleines für Ihre Resilienzfähigkeit.“

Resilienz-Workshops im Oktober

Nach den Vorträgen entstand eine lebhafte Diskussion, in die sich zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer per Chat einbrachten. Die beiden Vortragenden hat das BhW Niederösterreich übrigens für den 4. und den 20. Oktober für vertiefende Workshops im Rahmen der BhW Wissens.Tour online gewinnen können.

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